Der Mensch besitze grundsätzlich Freiheit und Schuldfähigkeit, hob der Bischof hervor. „Und wo Freiheit ist, ist auch Freiheit zu Schuld, Scheitern und Destruktion!“ Ohne Gefängnis komme die Gesellschaft nicht aus. Für die meisten aber sei die Lebenssituation des Gefangenen fremd, provoziere Abwehr und Selbstgerechtigkeit. „Was gehen uns die Strafgefangenen an, was können wir für sie tun?“ Die Kriterien der Beurteilung müssten sich nach dem Wort der Bibel „Ich war in Gefangenschaft, und ihr habt mich besucht“ richten. Das bedeute nichts anderes, als dass Gott selbst sich mit den Schuldbeladenen identifiziere. „Dies ist einmalig in der Religionsgeschichte und unabdingbarer Bestandteil des Wirkens der Kirche“, sagte Bischof Hofmann.
In ihrem Wort zum Auftrag der Kirche im Gefängnis „Denkt an die Gefangenen, als wäret ihr mitgefangen“ definierten die deutschen Bischöfe Versöhnung als Wiederaufnahme in die Gesellschaft. Seelsorge solle Räume schaffen, in denen die Gefangenen Gott in einen personalen „Du“ gegenübertreten könnten. Seelsorge solle Liebe erfahrbar machen, ermutigen und die Chance eröffnen, sich vielleicht erstmals selbst als Subjekt zu erfahren.
„Im Himmel herrscht mehr Freude über einen Sünder, der umkehrt, als über 99 Gerechte“, zitierte Dekan Gregor Sorg, „daher bin ich offen und akzeptiere die Gefangenen in ihrem So-sein“. Der Vorsitzende der Baden-Württembergischen Gefängnisseelsorge arbeitet seit 1984 mit Straffälligen und ist derzeit Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stuttgart. In Würzburg referierte er über „Biblische Grundlagen für den Dienst der Versöhnung“. Jesus habe sich permanent den Sündern zugewandt, sagte Sorg. Sein Versöhnungswirken habe kein Mäntelchen über Schuld und Sünde gedeckt. Aber für den Sünder sei damit das letzte Wort noch nicht gesprochen. Er wolle Menschen zu Einkehr und Umkehr bewegen und aufrichten. Seine Hand bleibe aber auch ausgestreckt für Undankbare und Böse. „Er gibt von sich aus die Gnade und durchbricht so den Teufelskreis von Schuld und Sünde – was rettet, ist letztlich Gottes Gnade!“ Gottes Botschaft sei keine Drohbotschaft, sondern eine Frohbotschaft, die heil mache. Sein Heil mache frei von Selbstentfremdung und Unsicherheit über den Sinn des Lebens.
Die Grundlage für seinen Dienst in der JVA findet Sorg in der Begegnung von Mose mit Gott beim brennenden Dornbusch. Das Wort Gottes „Ich bin der Ich-bin-da“ setze er im zweck- und zeitlosen Dasein für die Häftlinge: „Ich gehe zuerst zu ihnen, denn in der Bibel heißt es: Ich war in Gefangenschaft und ihr seid zu mir gekommen!“ Die Basis seiner Tätigkeit sei die Liebe zu Gott und seinem Ebenbild, dem Menschen – egal ob dieser ein „böser“ oder „guter“, ein politischer oder krimineller, ein schuldiger oder unschuldiger Gefangener sei.
Der leitende Oberstaatsanwalt Clemens Lückemann informierte über Gesetzesänderungen und räumte mit Vorurteilen über Kriminalität auf. So sehe das neue Justizvollzugsrecht Verschärfungen im Umgang mit Gewalt- und Sexualstraftätern vor. Mildernde Umstände bei Straftaten unter Alkoholeinfluss gebe es künftig nicht mehr. Außerdem werde der Behandlungsauftrag Gesetzesrang erhalten. Er beinhalte Arbeit, Bildung und Ausbildung, Seelsorge und Freizeitgestaltung nach den Notwendigkeiten des jeweiligen Gefangenen. Mit hohem finanziellem Aufwand werde die Sozialtherapie ausgebaut. Der „fordernde Vollzug“ erwarte vom Straffälligen die Aufarbeitung persönlicher Defizite ebenso wie die Änderung eingeschliffener Verhaltensweisen. „Ob er das dann macht, entscheidet der Täter selbst“, räumte Lückemann ein.
Das „Wegsperren für immer“, das populistische Politiker vollmundig forderten, entspreche aber nicht den Grundsätzen des Justizvollzugs, und auch nicht des Grundgesetzes. Jeder müsse eine Chance haben, wieder in Freiheit zu kommen. „Aber unsere Verantwortung geht über den Vollzug hinaus, hin zu Nachsorge, Bewährung, Führungsaufsicht, Hilfe für Haftentlassene, aber auch Beobachtung von Sexualstraftätern“, unterstrich Lückemann. Die Bevölkerung nehme Kriminalität durch die Medien verzerrt wahr. So seien etwa nicht alte Frauen, sondern junge Männer die bevorzugten Opfer von Überfällen. Sexualstraftaten und Tötungen nähmen nicht zu, sondern seien zurückgegangen. Und Lebenslängliche kämen auch nicht durchschnittlich nach 15, sondern erst nach 20 Jahren frei – sie könnten aber auch nach 40 Jahren noch inhaftiert sein.
In einem Informationsblock stellten Initiativen ihre Arbeit vor. Abschließend diskutierten Ehrenamtliche mit den Tagungsteilnehmern. Schlusspunkt des Tages war ein ökumenischer Gottesdienst in der JVA Würzburg mit Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand und Regionalbischof Helmut Völkel.
Jerzy Staus (POW)
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