Liebe Schwestern und Brüder in den Orden und Ordensgemeinschaften, liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
„Die Freude an Gott ist unsere Stärke“ (vgl. Neh 8,10)
Auch Sie, liebe Schwestern und Brüder, haben wie Kilian, Kolonat und Totnan alles verlassen und sind Christus nachgefolgt. Sie haben ein Leben in der Nachfolge Jesu gesucht, das Armut, Keuschheit und Gehorsam als Grundlage der Berufung akzeptierte. Sie durften erfahren, wie die Freude an Gott unsere Stärke ist.
Sie haben Ihre Berufung entweder draußen in der weiten Welt oder bei uns im Frankenland gelebt. Sie haben das 20. Jahrhundert – wie wir alle – als ein Jahrhundert der Extreme erlebt. Der Kommunismus und der Nationalsozialismus sind zusammengebrochen, aber damit sind noch lange nicht diese Ideologien überwunden. Megatrends – wie Individualisierung, Säkularisierung, Mobilisierung und Erlebnisorientierung – auf der einen Seite und soziokulturelle Gegentrends – wie Netzwerkbildung, Respiritualisierung und Ästhetisierung – auf der anderen Seite sind nur wenige Stichworte, die der Würzburger Pastoraltheologe Professor Garhammer in diesem Zusammenhang geprägt hat.
Wir leben in einer Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs und doch hungern weltweit 850 Millionen Menschen – davon allein 400 Millionen Kinder. Allein 18.000 Kinder sterben jedes Jahr an den Folgen von Unterernährung. Mangelernährung beeinträchtigen auch die frühkindliche Entwicklung (vgl. FAZ, 16.10.06, S. 9).
1440 Kinder erkranken täglich an Aids. Man kann sagen, jede Minute infiziert sich ein Kind mit dem Aids-Virus. „Trotz kleiner Fortschritte bei Vorbeugung und Behandlung steckten sich im vergangenen Jahr nach UNICEF-Schätzungen 530.000 Mädchen und Jungen unter 15 Jahren an. Die meisten dieser Kinder kommen bereits mit dem HI-Virus zur Welt: Sie infizieren sich bei der Mutter.“ (Main-Post, 17.01.07).
Neben diesen gravierenden Problemen müssen wir feststellen, dass nur sehr wenige junge Frauen und Männer die geistliche Berufung zum Ordensleben wahrnehmen.
Wir leben in einer schwierigen, herausfordernden Situation.
Wie war es, als Nehemia und Esra dem kleinen, versprengten Volk Israel in Jerusalem zurief: „Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke“ (Neh 8,10)?
Da war das Volk Israel nach der babylonischen Gefangenschaft, als die Perser die Herrschaft der Babylonier abgelöst hatten, wenigstens zum Teil in seine Heimat zurückgekehrt. Während einige Zuflucht in Ägypten suchten, fühlten sich die nach Judäa Zurückgekehrten dennoch als „Knechte“ im eigenen Land. Nehemia trug – neben Esra – nach den Unruhen in der ersten Hälfte es 5. Jahrhunderts zu einer generellen Neuordnung des jüdischen Gemeinwesens bei. Er stärkte als Zentrum Jerusalem durch den Wiederaufbau der Mauer und der Tempelburg, steigerte die Einwohnerzahl und stieß soziale und wirtschaftliche Reformen an.
Warum die Menschen während der Feier der Bundeserneuerung und dem Verlesen des mosaischen Gesetzes in Tränen ausbrachen, ist nicht genau auszumachen. War es die Erschütterung nach der schrecklichen Gefangenschaft und der Freude der Heimkehr? War es die Selbsterkenntnis, dass eine große Kluft zwischen Anspruch des Gesetzes und dessen Einhaltung bestand? Hatten sie einfach Angst vor der zu erwartenden Strafe bei Gesetzesübertretung? Der Statthalter Nehemia und der Priester und Schriftgelehrte Esra (vgl. Neh 8,9) wollten aber keineswegs, dass das Volk traurig war und verwiesen es vielmehr auf die Bedeutung dieses heiligen Tages. Beide rieten den Menschen, ordentlich zu feiern, ein festliches Mahl zu halten und einen guten Wein zu trinken. Dabei sollten sie alle mit einbeziehen und auch denen abgeben, die selbst nichts hatten. Die Begründung lautete: „Denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre des Herrn.“ (Neh 8,10) Ja, diese Erneuerung des Bundesschlusses war ein großes Ereignis nach den vorausgegangenen Katastrophen und in den Wirren der Zeit.
In der Schrift „Gemeinsam dem Evangelium dienen – Die Gemeinschaften des geweihten Lebens in der Kirche“, das die deutschen Bischöfe am 1. Februar dieses Jahres herausgegeben haben, steht: „In einer missionarischen Kirche ist der Auftrag, das Evangelium zu verkünden, allen Gliedern entsprechend ihren Charismen aufgetragen. Die Gemeinschaften des geweihten Lebens erfüllen diesen Auftrag nicht nur in ihren unterschiedlichen Sendungen in der Seelsorge, der Caritas oder der Bildung, sondern grundlegend durch eine Lebensgestaltung nach den evangelischen Räten.“(S. 5)
„Die Orden und andere Formen des geweihten Lebens halten lebendig, dass in der Kirche die institutionelle und die charismatische Seite zusammengehören; beide sind nach einem Wort von Papst Johannes Paul II. ,gleichermaßen wesentlich’ für die Konstitution der Kirche, und sie tragen beide – wenn auch auf verschiedene Weise – zu ihrem Leben, ihrer Erneuerung und der Heiligung des Gottesvolkes bei.’“ (Ebd. S. 13)
Im Zentrum des Ordenslebens steht die Suche nach Gott. So lässt der heilige Benedikt (480-547), dessen Gedenktag wir heute begehen, in seiner Benediktusregel den Kandidaten für das Mönchsleben daraufhin prüfen, „ob er wirklich Gott sucht“ . Dieser Grundimpuls für das Ordensleben ist auch heute wieder aktuell.
Die Gemeinschaft im Orden erlaubt nicht nur Beheimatung in einer speziellen Ordensregel, sondern erlaubt auch Austausch der Erfahrung des Heiligen. Die Gastfreundschaft, die seit den Anfängen des Mönchtums wesentlich das Ordensleben prägte, soll nach dem heiligen Benedikt besonders gegenüber den „Armen und Fremden“ gewährt werden. Aber auch die Weitergabe des im eigenen Leben als tragfähig erwiesenen Glaubens an die Mitmenschen außerhalb des Klosters ist eine Chance und Aufgabe. Klöster, Orden und Ordensleute leben im Herzen der Kirche. Viele Mitmenschen schauen auf sie und partizipieren auf vielerlei Weise.
Nach dem Vers aus dem Buch Deuteronomium „Du aber wähle das Leben“ (30,19) können Sie Zeugnis für das Wirken Gottes in Ihrem Leben ablegen. Moses hatte den Israeliten kurz vor dem Einzug in das Gelobte Land die Bundesurkunde mit auf den Weg gegeben. Von ihr hängt nicht weniger als Leben oder Tod ab. „Hört und ihr werdet leben“ (Dtn 4,1). Mit einfachen Worten fordert Moses das Volk auf, die Stimme Gottes zu hören. Der Hintergrund dieser Aufforderung ist die 40- jährige Wüstenerfahrung, in der Gott sein Volk durch alle Höhen und Tiefen, durch alle Katastrophen hindurch begleitet hat. Diese Erfahrung, die wir in unserem Leben mit dem uns liebenden und uns tragenden Gott machen, hat Nehemia durch die Bundeserneuerung wieder aufrufen wollen. Und auch für uns gilt es, diese eigene Erfahrung weiterzugeben. Lieben und Geliebtwerden als menschliche Grunderfahrungen werden auch heute durch glaubwürdige Personen vermittelt. Die Menschen hungern danach!
Wir wissen oft gar nicht, was auch der ganz in der Verborgenheit gelebte Glaube bewirkt und wie er den Mitmenschen den Weg zum Leben erschließt. Haben Sie Mut, den gewählten Weg der Armut, Keuschheit und Gehorsam beherzt weiter zu gehen. Leben Sie durch Ihr Lebenszeugnis den Aufruf Nehemias: „Die Freude an Gott ist unsere Stärke.“ Amen.
(2907/1067)