Evangelium
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird.
Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden. Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt: Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden.
Johannesevangelium 16,12–15
Waren Sie schon einmal in einer Gottvater-Kirche? Nein? Kein Wunder. Die gibt es nämlich nicht. Oder zumindest fast nicht. Im Bistum Fulda gab es mal eine Kirche, die Gottvater geweiht war. Aber die ist mittlerweile aufgegeben. Ansonsten sucht man einen solchen Namen vergeblich. Dabei gibt es Kirchen, die ausdrücklich Jesus geweiht sind – Herz-Jesu- oder Christ-König-Kirchen etwa. Ebenso findet man Heilig-Geist-Kirchen.
Auch in der Frömmigkeit scheint Gottvater etwas benachteiligt zu sein. Es gibt Gebetsformen, die sich an Jesus ausrichten, etwa in der eucharistischen Anbetung oder dem sogenannten Jesusgebet. Und in charismatischen Gemeinschaften wird besonders der Heilige Geist in den Fokus gerückt. Aber Gottvater – mal abgesehen vom Vaterunser?
Der Jesuit Lutz Müller praktiziert seit Jahrzehnten das Jesusgebet. Er leitet das Haus Gries in Oberfranken und begleitet dort Exerzitien. In seiner Selbstvorstellung auf der Homepage des Hauses schreibt er von der „Beziehung zu Gott und der Freundschaft zu Christus“. Differenziert er zwischen den göttlichen Personen? Ja und nein.
Im Jesusgebet, sagt er, richtet er sich an Jesus, begegnet ihm. Das Gebet muss man lernen und üben. Es ist eine Meditationspraxis. „Man muss Zeit haben, wenigstens 30 Minuten. Man muss stillsitzen. Man muss lernen, den Körper zu beherrschen, sich in ihm wohlzufühlen.“ Und dann meditiert man den Namen Jesu: Beim Einatmen sagt man innerlich „Christus“, beim Ausatmen „Jesus“. „Christus“ – einatmen, „Jesus“ – ausatmen. In Stille, für eine ganze Zeit. „Ich inhaliere Christus Jesus und werde immer mehr eins mit ihm, wenigstens mental, beim Atmen“, sagt Pater Müller.
Das Jesusgebet führt zum Vater
In der Stille mache man „ganz großartige Erfahrungen“. Man wird mit dem eigenen Ich, der Biografie, seinen Verletzungen und Wünschen konfrontiert. Es ist Aufgabe von Exerzitienbegleitern, diese Dinge einzuordnen. Das Ziel: in der Liebe zu wachsen. Denn darum gehe es, sagt Müller: „Die erste und die letzte Aufgabe ist die Nächstenliebe. Die Exerzitien haben sich gelohnt, wenn wir am Schluss ein kleines bisschen liebevoller mit unseren Mitmenschen umgehen.“ Ein langer Weg und „ein gigantisches Projekt“, die Umformung des Menschen in der Liebe. „Nach 20 Jahren spürt man aber durchaus Folgen“, sagt Müller.
Er vergleicht den Weg der kontemplativen Exerzitien mit einem Adlerflug: Erst hebt der Adler ab, steigt flügelschlagend in die Lüfte. „Das sind die ersten zehn Jahre, wenn man das Gebet lernt und die Höhen und Tiefen kennenlernt.“ Dann kommt die zweite Flugphase: Der Adler lässt sich durch die Lüfte gleiten, ohne Anstrengung. „Das Gebet ist leichter und man merkt: Ich kann mich mit Christus vereinigen. Der Weg ist frei. Jesus erwartet mich!“ In der dritten Phase steht der Adler in der Luft. Er ist einfach. Ohne Flügelschlag, ohne eigene Anstrengung ist der Adler da. Dann führt das Gebet in die Begegnung mit Gott.
„Es gibt Momente in meinem Gebetsleben, da habe ich das erlebt“, sagt Müller. „Ich habe sozusagen das Sein berührt. Ich merkte, Christus deckt mir den Rücken und vor mir ist das Nichts, wie einige sagen würden. Ich würde sagen, das Nichts ist identisch mit der Fülle. Die Fülle ist das Sein im Vater, das Wohnen in Gottvater.“ Eine mystische Erfahrung.
Der Jesuit erinnert an den biblischen Moment, als sich Gott im brennenden Dornbusch offenbart hat. Dort hat er seinen Namen mitgeteilt: „Ich bin, der ich bin.“ Gott hat keinen Ort, keine Zeit. „Dieser Gott ist der Urgrund der Welt, der Seinsgrund. Gott, der Vater, denkt nicht und handelt nicht. Er ist einfach.“ Müller meint übrigens, dass solche mystischen Erfahrungen nicht nur religiöse Profis machen könnten, sondern auch ganz normale Gläubige, wenn sie nur dazu angeleitet und ermutigt würden.
Geistreiche Einsichten
Über das Jesusgebet können wir also zu Gott finden. Denn in Jesus hat Gott sich uns Menschen gezeigt, hat menschliche Gestalt angenommen, damit wir uns so dem unfassbaren Gott nähern können. Aber wie kommt nun der Heilige Geist ins Spiel? Auch über Jesus, sagt Pater Müller. Jesus sei nach seiner Auferstehung zu Gott zurückgekehrt und sende, so sagt er etwas scherzhaft, sozusagen sein Lichtsignal an die Menschen zurück. Für Müller ist der Heilige Geist die göttliche Kraft, die zum Beispiel bei Entscheidungen hilft. Auch wieder über das Jesusgebet.
In den Exerzitien, sagt er, machten Menschen oft die Erfahrung, dass sich eine Entscheidung wie automatisch, also intuitiv, ergibt. Ganz logisch, sozusagen alternativlos. Wie bei Paulus, als dieser vom Pferd stürzt und den Herrn erkennt. Oder bei der Berufung der ersten Jünger, die alles direkt stehen und liegen lassen.
In den kontemplativen Exerzitien solle man nicht Vor- und Nachteile abwägen, sondern in die Stille und die Begegnung mit Jesus gehen, sagt Jesuit Müller. Häufig erzählten ihm Menschen, dass sich die Entscheidung dann am Ende wie von selbst eingestellt habe. „Wie der Blitz vom Himmel. Die intuitive Gewissheit, die schlagartig kommt. Darauf vertraue ich beim Heiligen Geist. Das ist der Geist der Weisheit, der Einsicht, der Erkenntnis.“
Durch den Sohn im Geist zum Vater: Zwischen die drei passt kein Blatt Papier. Pater Müller sagt: „Diese Erfahrung, eins zu sein mit Gott, gibt die Gewissheit: Alles wird gut. Das Negative und das Böse haben nicht das letzte Wort. Wir sind unterwegs schon im Licht und beim Licht und mit dem Licht, auch wenn wir es nicht spüren.“
Ulrich Waschki